Durchknall des Jahres 2010: Das wars.

Liebe Leser, ich bedanke mich an dieser Stelle für das freundliche Feedback. Dennoch habe ich mich entschlossen, diesen Durchknall des Monats zum Jahresende 2010 einzustellen: Auch wenn der einzelene Unsinn komisch ist, das Lesen strengt mich immer mehr an und die Masse der pseudowissenschaftlichen Artikel mit denen allein das ArXiv täglich überschwemmt wird, ist deprimierend. Ich muss daher meine Zeit wieder der echten Physik und neuen Projekten widmen. Ich hoffe, ich habe Ihren Blick etwas geschärft.

Durchknall des Monats November/Dezember 2010:

Ewige Inflation nun endlich bewiesen!

Riesenfortschritt für die Theorie der ewigen Inflation! In dem Artikel 1012.1995 erfahren wir, "Im Bild der ewigen Inflation befindet sich unser Universum in einer einzigen Blase die von einem inflationierten falschen Vakuum entstanden ist. Viele der Theorien, die zu ewiger Inflation führen sagen vorher, dass wir kausalen Kontakt zu Kollisionen mit anderen Blasenuniversen haben." Sagenhaft. Es gibt also Theorien, die sich nicht von vorneherein als Hirngespinst dadurch definieren, dass man sie nie testen kann. Aber weiter: "Wir stellen die Resultate von der ersten Suche nach Effekten der Blasenkollisionen dar, ..." Jetzt muss man schon genau hinsehen: nein, keine Resultate von Effekten der Blasenkollisionen, sondern das Resultat lautet: Es wurde gesucht! Immerhin unterscheidet das wohltuend von den Stringtheoretikern, die frei von jeder Beobachtungsniederung ihr Evangelium der Zusatzdimensionen herunterbeten, aber wissenschaftlich nahrhaft ist so eine Suche leider noch nicht: man wird etwa so satt dabei, wie wenn man sich vorzustellen versucht, man gehe in ein Restaurant. Der Artikel schließt mit den üblichen Missbrauchsvokabeln von Pseudobeobachtungen: Man habe den Parameterraum verkleinert (das kann man immer behaupten), und man habe features (also eben kein Resultat) in den 7-Jahres WMAP-Daten gefunden, die konsistent mit dem Vorkommen von Blasenkollisionen seien. Konsistent sind die Daten aber auch mit Braninflationen, zerstrahlenden primordialen schwarzen Löchern, dem heiligen Geist, UFOs oder irgend einem anderen Blödsinn, weil konsistent eben noch garnichts bedeutet, ebenso wie signatures, die man dann aus den Daten liest, wenn im Kaffeesatz der Messungenauigkeit eben nichts mehr zu finden ist. Und dann wird angekündigt, man hoffe diese Pseudointerpretation bei den Planck-Daten zu reproduzieren. Ja, bestimmt wird man bald die obigen Vorhersagen bestätigt finden. Wissenschaft, wo bist Du gelandet? Wann platzt endlich diese Blase des Geschwätzes? Ich fürchte, sie dauert ewig wie die Inflation.


Durchknall des Monats September/Oktober 2010:

Schwarze Ringe und andere Stringpoesien

Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli saßen einst bei ihm als Studenten nebeneinander im Hörsaal, Einstein bewunderte Ihn, und die nach ihm benannte Feinstrukturkonstante ist in ihrer Rätselhaftigkeit Gegenstand intensiver Forschungen - Arnold Sommerfeld, eine der Physikkoryphäen des frühen 20. Jahrhunderts könnte zufrieden sein heute. Aber sicher würde er sich im Grabe umdrehen, müßte er hören, was hundert Jahre nach seinem Wirken in dem nach ihm benannten Institut als Physik verkauft wird. "Black holes, black rings and topological strings" titelte dort vor einigen Jahren ein Workshop, und übertünchte in Reimen, dass den tagenden Physikern jeglicher Bezug zur Realität schon verloren gegangen war. Denn die schwarzen Löcher, über die die Stringtheoretiker gewöhnlich phantasieren, haben nichts mit den bekannten astrophysikalischen Objekten zu tun. Es wird lediglich behauptet, aus einer Rechenorgie der Stringtheorie ließe sich die sogenannte Bekenstein-Hawking Entropie von schwarzen Löchern berechnen - übrigens eine Größe die noch niemand beobachtet hat und wahrscheinlich auch nie beobachten wird.

Würde man Physik machen, könnte man sich stattdessen wundern über die Masse eines Pulsars 1010.5788 , der gefährlich nahe an die Chandrasekhar-Grenze heranreicht, bei der ein schwarzes Loch entstehen sollte. Aber davon sind die meisten Theoretiker weit weg, und so wird wieder gedichtet, mit einer leichten Variation des fünf Jahre alten Spruchs: "Black Strings, Black Rings and State-space Manifold" nennt sich ein kürzlich im ArXiv erschienener Brei, in dem reichlich Zutaten von Pseudowissenschaft verwurstet werden: Nicht-sphärische horizont-rotierende schwarze Brankonfigurationen mit mehreren Parametern natürlich, und die zeigen ein glasklares Ergebnis: eine Kategorie von statistischen Brankonfigurationen enthülle eine intrinsisch degenerierte Gleichgewichtsbasis! Wenn Sie das noch nicht vom Stuhl wirft, jetzt kommt wirklich neue Physik: Interessanterweise zeigen mit willkürlichen Werten von M5-Dipolen geladene, rotierende zirkuläre Strings sowie Malcadena-Strominger-Witten schwarze Ringe nicht-degenerierte, positiv gekrümmte, umfassen reguläre Zustandsraumkonfigurationen... Ja wer hätte das gedacht! Vor allem weil die Zustandsraumgeometrie von Blasenringen noch ähnliches erlaubt! Revolutionäre Erkenntnisse.

"Unzickers Kritik ist emotional" habe ich neulich irgendwo gelesen. Wahrscheinlich hat der Mann recht. Ich habe immer schlecht ertragen wenn mir inhaltsloses Geschwafel das Gehirn penetrierte, und wenn das auch noch der Wissenschaft in die Schuhe geschoben wird, die uns wie keine andere mit Entdeckungen bereichert hat, schlägt das auf den Magen. Wie lange lassen sich die richtigen Physiker das noch gefallen? Mein Gegenmittel: Nehmen Sie Heisenbergs "Der Teil und das Ganze" zur Hand, schmökern Sie in Feynmans autobiographischen Büchern oder lesen Sie ein paar mindestens 50 Jahre alte Artikel von Schrödinger, Einstein, Dirac oder de Broglie. Die haben überlebt, das beruhigt. Der ganze Müll wird irgendwann entsorgt.


Durchknall des Monats Juli/August 2010:

Galilei, sein Verstand und die Teilchen davon

Die Universität von Pennsylvania ist eine renommierte Einrichtung, und schon lange hat man dort die Zeichen des Zeitalters der Astrophysik erkannt und die spröde Namensgebung der Teilchenphysik zu einem Center for Particle Cosmology erhoben. Es gibt zwar kein einziges Resultat der Teilchenphysik der letzten Jahrzehnte, das zum Verständnis astrophysikalischer Phänomene beigetragen hätte, aber wen stört's? Die Geldgeber sicher nicht, die sich damit zufrieden geben, dass der Chef Mark Trodden "Modelle untersucht, die auf die fundamentale Physik ein Licht werfen könnten." Die kosmologisch-modische Umtaufe hat vor allem den Vorteil, ungestört das weiter betreiben zu können, was John Horgan ironische Wissenschaft nannte: bar auch nur des Anspruchs, sich auf eine Beobachtung zu beziehen. So finden wir auf dem Arxiv den Artikel 1008.1305 , "Vielfeld-Galileons und Brane in höheren Co-Dimensonen". Im Bewusstsein, schon ausreichend Realsatire zu produzieren, übersetze ich die Zusammenfassung hier mit dem besten Vorsatz wörtlich:

"Im Entkopplungs-Limit reduziert sich das DGP-Modell auf ein skalares Feld Pi, das unter anderem eine spezifische kubische Selbstwechselwirkung besitzt - den Galileo-Term. Dieser Term, und seine Veralgemeinerungen vierten und fünften Grades kann man sich als Resultat einer Probe-3-Brane in einem 5-dimensionalen Raum vorstellen, mit Lovelock-termen auf der Bran und im Raum. Wir untersuchen die Vielfelder-Verallgemeinerungen des Galileons und weiten diese Probebran-Ansicht auf höhere Co-Dimensionen aus. Wir leiten eine extrem restriktive Theorie ab, die mittels eines Terms vierten Grades von einer einzigen Kopplung kontrolliert wird, und verfolgen ihren Ursprung zu den induzierten Brantermen, die von den Lovelock-Invarianten im Raum der höheren Co-Dimensionen kommt. Wir erforschen einige Eigenschaften dieser Theorie, und finden selbstbeschleunigende Lösungen der de Sitter-Art. Diese Lösungen haben Geister dann und nur dann, wenn die Theorie des flachen Raumes keine besitzt. Schließlich beweisen wir ein allgemeines Nicht-Renormierungs-Theorem: Vielfelder-Galileons sind in der Störungstheorie zu keiner Schleife quantenmechanisch renormiert."

Erzeugt das bei Ihnen nicht bereits den unwiderstehlichen Eindruck, dass die Theoretische Physik krank ist? Aber werfen wir ruhig einen etwas detaillierteren Blick darauf: Schon der Ausgangspunkt des DGP (Dvali-Gabadadze-Porrati)- Modells ist einer jener theoretischen Ladenhüter, die Stringtheoretiker als Feigenblatt für angebliche Überprüfbarkeit ersonnen haben und die seitdem bis zur Unkentlichkeit in höheren Dimensionen wiedergekäut werden. Weil es sich um eine Modifikation der Gravitation handelt, läßt es sich zu Erklärung fast jeder unverstandenen Beobachtung der Astrophysik gebrauchen - und davon gibt es ja viele. Dass präzise Experimente bisher nicht de geringsten Hinweis auf diese höherdimensionale Natur der Gravitation erbracht haben, stört nicht - traditionsgemäß hat man sich bei den Vorhersagen nie auf konkrete Zahlen festgelegt. Das ganze wird nun auf 3-dimensionale Branen in 5-Dimensionalen Raum aufgebläht, dazu eine Verallgemeinerung erfunden und weitere Co-Dimensionen dazuphantasiert, um daraus - die Krönung - eine extrem restriktive Theorie abzuleiten! Das ist etwa so, als würde man das physiologisch notwendige Aufstoßen während einer Lucullischen Orgie als Bußfasten verkaufen. Aber die Autoren freuen sich wie kleine Kinder über jede noch so marginale Verringerung der Absurditäten, die sie kurz zuvor erfunden haben. Schließlich versuchen sie, nach ihrem extradimensionalen Höhenflug wieder an Konzepte der Feldtheorie wie Renormierung und Geister anzudocken. Gerade bei letzterem handelt es sich um eine formale Beschreibung eines Rätsels, das den Weg der theoretischen Physiker der Nachkriegszeit markierte: Rechnen satt Denken.

Abgerundet wird das ganze Phantasiegebilde durch ein neues Teilchen - nach Galilei benannt. Glücklicherweise hat dieser uns einen passenden Kommentar hinterlassen: "Ich bin nicht verpflichtet zu glauben, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand begabt hat, von uns verlangt, dass wir auf ihren Gebrauch verzichten." Und man möchte hinzufügen: "Verpflichte die, bei denen Gott das nicht gelungen ist, auf den Gebrauch meines Namens zu verzichten!" So leibt nur ein zufälliger Trost: Die Autorennamen eignen sich auch sprachlich kaum, sie in Zukunft mit einem angehängten -eon zu einem Elementarteilchen zu erheben.


Durchknall des Monats Juni 2010:

Wieder mal: Leute, die Fische fangen, und solche, die nur das Wasser trüben

Damit hier nicht der Eindruck eines generellen Physik-bashing entsteht: Erfreulicherweise gibt es doch viele Forscher, die die technisch einzigartigen Instrumente der heutigen Zeit sinnvoll nutzen, wie etwa Reinhard Genzel vom MPE, der kürzlich bei einem Vortrag über spektakuläre Beobachtungen im Milchstraßenzentrum sprach. Einerseits zeigen die dort schnell umlaufenden Sterne eine enorme Masse des zentralen schwarzen Lochs, andererseits wies Genzel auch darauf hin, dass diese Sterne unerklärlich jung sind - ein Widerspruch zu den gängigen Modellen der Theoretiker. Erfreulicherweise sieht sich Genzel nicht jenen verpflichtet, sondern nennt eine Reihe von Problemen beim Namen.

Zentren von Galaxien sind übrigens keineswegs so gut verstanden, wie von den "Präzisionskosmologen" gerne vebreitet wird. Auf viele Widersprüche bei der Beobachtung der dort vermuteten Quasare, weist in einem schönen, aber detaillierten Artikel Martin Lopez-Corredoira vom IAC hin und kommentiert: "Zwar gibt es dutzende von Arbeiten von Gegnern des Mainstreams, die nicht sorgfältig arbeiten. Dennoch sind durchaus ernsthafte Widersprüche vorhanden, aber wegen des schlechten Rufs des Themas werden sie von den meisten Forschern einfach nicht zur Kenntnis genommen. Inzwischen hat jeder dazu eine Meinung, ohne die Veröffentlichungen oder die Probleme im Detail zu kennen, nur weil einige führenden Kosmologen es als Scheineffekt bezeichnet haben."

Es gibt viel Nachzudenken über Gravitation, aber exemplarisch für die oberflächliche Art, in der dies heutzutage geschieht, ist der aktuelle Durchknall:" "Newtonsche Gravitation als entropische Kraft: Hin zu einer Herleitung der Konstante G". Jeder Titel mit "Hin zu" (towards) ist schon ein starkes Indiz für Geschwafel, das sich hier als hübsch zirkuläre Argumentation präsentiert: Bekanntlich bildet man u.a. aus der Gravitationskonstante die sogenante Plancklänge l, höchstwahrscheinlich ein sinnloses Artefakt. Nun der bahnbrechende Vorschlag: statt G sollte l die fundamentale Konstante sein, und G könnte man daraus ableiten. Mich erinnert das an 20 Ostfriesen, die eine Kuh melken: 4 halten die Zitzen und 16 heben die Kuh auf und ab. In der Physik wird so ein Vorgehen "holographisches Prinzip" genannt, und selbstverständlich gibt es dazu Veröffentlichungen renommierter Theoretiker. Auffällig ist dabei die auch in besagtem Artikel anzutreffende Ignoranz gegenüber früheren Versuchen, G zu berechnen, worüber man ja im Prinzip sehr wohl nachdenken kann: Paul Dirac, Denis Sciama, Robert Dicke, ja Erwin Schrödinger (1925!) haben sich darüber Gedanken gemacht. Stattdessen wird eine Eintagsfliege zitiert, die den Mund vollnimmt mit folgendem Titel: "Über den Ursprung der Gravitation und der Newtonschen Gesetze". In der Physik finden wirklich jeden Monat Umwälzungen statt.


Durchknall des Monats Mai 2010:

Science-fiction-Kosmologie

"Kurzschluss" bedeutet eine meist unerfreulich nahe Verbindung von etwas, was sich normalerweise erst auf langen Wegen finden würde - bis zum Rand des Universums und wieder zurück kann man sicher als lang bezeichnen, und wenn ein Lichtstrahl sich auf diese Weise in den Schwanz beisst, kann das "closed timelike curve" heissen, kurz CTC. Eine illustre Runde von elf theoretischen Physikern hat sich nun in einem Artikel mit dieser Idee beschäftigt, die sich an eine "weithin akzeptierte Theorie der Quantengravitation" anlehnt, die von Theoretiker David Deutsch vorgeschlagen wurde (Auf Deutsch: Eine in Ermangelung eigener Ideen weithin nachgeplapperte Sicence-Fiction-Phantasie), in der natürlich auch Parallelwelten vorkommen. Warum ist dieser Kurzschluss nun ein echter Durchknall?

Nach dem sogenannten Zwilligsparadoxon wird Einsteins Spezielle Relativitätstheorie so interpretiert, dass Reisen in die Zukunft im Prinzip möglich sind, in die Vergangenheit jedoch nicht, und das ist auch gut so, weil es da mit der Logik etwas hapert. Normalen Menschen ist daher eine Reise in die Vergangenheit nur aus einem Film wie Zurück in die Zukunft bekannt, der dem US-Fernsehzuschauer nebenbei die Moralbotschaft nahebrachte, dass es in jeder Hinsicht schief gehen kann, ein Techtelmechtel mit seiner eigenen Mutter anzufangen. Theoretische Physiker dagegen bezeichnen dies als "Grandfather's paradox" und es wird von den elf Autoren mit einem neuartigen Ansatz "gelöst". Geht's noch? Aber werden Sie nicht irre - ein halbes Dutzend namhafte Forschungsorganisationen förderten diesen Geistesblitz.

Closed timelike curves sind nach der Allgemeinen Relativitätstheorie formal sicher möglich - hätte allerdings Einstein geahnt, wiviel man in diese mathematischen Konstrukte hineininterpretieren wird, hätte er sich vielleicht nochmal überlegt, die Allgemeine Relativitätstheorie zu publizieren. Aber möglicherweise bin ich ja selbst bei einem dieser kosmologischen Umläufe aus der Spur geraten und befinde mit in einer jener Parallelwelten, bei dem CTC - die Abkürzung taucht übrigens auf den gut drei Seiten 50 Mal auf - für "crazy theoretical crap" steht ? Und auf der folgender Wikipedia-Eintrag zu finden ist:

Kurzschluss: in der Technik das Herabsetzen eines Widerstandes oder einer Impedanz bis auf oder nahe Null
Durchknall: in der Physik das Herabsetzen des Denkens oder des Intelligenzquotienten bis auf oder nahe Null


Durchknall des Monats April 2010:

Wahnsinn, Hoffnung und Wahnsinn

Für diese Rubrik der durchgeknallten theoretischen Ideen in der Physik Themen zu finden, gestaltet sich manchmal schwieriger als erwartet, weil man von der Fülle des Beispielmaterials, das etwa in hep-th täglich abgesondert wird, schier erdrückt wird. Ob "Desensibilisierung der Inflation von der Planckskala", "Phantomkreuzungen in einem Dvali-Gabadadze-Porrati-Modell", "Knickpunkt- Inflation innerhalb der Supersymmetrie" oder "Kosmologische K-Essenz-Kondensation": Fragen Sie mal einen gestandenen Experimentalphysiker, ob er sich unter diesen Science-Fiction-Produkten etwas vorstellen, geschweige denn eine Beobachtung ausdenken kann.

Da ist es tröstlich, dass gelegentlich sich vernünftige Leute die Mühe machen, die durchaus spannenden Resultate der modernen Physik zusammenzufassen, wie es etwa Prof. Bleck-Neuhaus in seinem neuen Buch über Elementarteilchen tut - die historische Betrachtungsweise beleuchtet auch den Konflikt zwischen neuen Resultaten und den immer komplizierteren Konzepten, unter denen das Standardmodell heute leidet. In diesem sehr guten, über 700 Seiten umfassenden Werk wird die Supersymmetrie mit 13 Zeilen erwähnt, und die Stringtheorie mit ganzen fünf. Man fragt sich hier: Hat der Autor, ein anerkannter Physiker, die Entwicklungen der theoretischen Teilchenphysik der letzten 30 Jahre nicht mitbekommen? Oder lag es daran, dass die Stringtheorie in dieser Zeit keine einzige Frage der Teilchenphysik beantworten konnte, obwohl sie ihre Hirngespinste permanent als Revolutionen feierte? In dieser Hinsicht sind vielleicht fünf Zeilen sogar etwas überproportional.

"Allgemeine und abstrakte Ideen sind die Quelle der größten Fehler der Menschheit" (Jean-Jacques Rousseau, 1762)

Die Zuversicht ist den Stringtheoretikern jedenfalls nicht abhanden gekommen - wen man lange genug auf einem Gebiet erfolglos war, wendet man sich eben dem nächsten zu, zum Beispiel der Gravitation. Dass dabei auf willkürlichen Grundfesten die Rechnungen jeden Bezug zur Realität verlieren, wird nebensächlich. Wie sagte der berühmte Rudolf Clausius ? "Liegt der Fehler erst einmal im Fundament begraben, alles wird darauf gebaut, nimmermehr kommt er ans Licht". So wird auch der absurd-anmaßende Titel verständlich, unter dem kürzlich in München wieder einmal der Name des Arnold Sommerfeld-Zentrums für Physik durch einen Stringklüngel missbraucht wurde: "Fundaments of Gravity"...


Durchknall des Monats März 2010:

Kant ist tot, es lebe die Supersymmetrie!

Die Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bonn, zu deren Besuch mir mein Chef freundlicherweise freigegeben hatte, zeigte eine treffende Momentaufname der modernen Physik. Einerseits beeindruckende Beobachtungen, wie die von Pulsaren mittels der Radioastronomnie, die in Bonn mit Prof. Kramer ein Heimspiel hatte - ein Eldorado der Messgenauigkeit für Astronomen.

Andererseits fand man in zahlreichen Hauptvorträgen jenen kollektiven Irrsinn, mit denen die immer gleichen Ladenhüter der Theoretischen Physik wie die Supersymmetie zelebriert werden - oder soll man sagen, Messen gelesen werden? Denn Messen im physikalischen Sinn tut diese Spezies ja nicht. Ein US-Import der Bonner Theoretischen Physik brachte in die Oper neben seiner Baseballmütze zur Erheiterung des Publikums ein kleines Experiment mit - übrigens das einzige der Supersymmetrie, das je funktioniert hat!

Als er als Ausgeburt seiner Rechnungen das Axino als Favoriten für die Entdeckung im LHC präsentierte, fiel mir dazu meine Wette auf das Higgs-Teilchen ein - übrigens bekam ich in einem anderen Vortrag doch ein mulmiges Gefühl, wie erläutert wurde, dass 12 Zehnerpotenzen an Untergrundsignal entfernt werden muss, um das Higgs zu sehen, aber das nur nebenbei. Nun interessierte mich doch, zu welcher Quote der Vortragende auf die Entdeckung seines Axino setzen würde. Leider war ihm nicht so recht klar, dass das Wetten nicht in erst in dem von ihm verschmähten Las Vegas erfunden wurde, sondern schon Immanuel Kant es in seiner Kritik der reinen Vernunft als den "Probirstein der echten Überzeugung" vorschlägt:

"Manch einer trägt seine Ansicht mit so zuversichtlichem und unlenkbaren Trotze vor, das er die Besorgnis des Irrthums gänzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette macht ihn stutzig".

Dagegen riskierte er nur die Aussage "Kant is dead" - immerhin soviel lernt man in amerikanischen High Schools, und er hat natürlich Recht. Kant wird auch nicht wieder lebendig, im Gegensatz zu physikalischen Theorien wir der Supersymmetrie, die schon 1978 das erste Mal das zeitliche segnete, als man im Beschleuniger HERA keinen Hinweis darauf fand. Aber die Zahl der Veröffentlichungen dazu wächst weiter, auf nun ca. 50000. Neben Kant ist auch die Vernunft schon länger tot.


Durchknall des Monats Februar 2010:

Quantengravitation auf dem Weg zum Nobelpreis?

Es sind oft die kleinen Dinge, über die man sich wundert, etwa warum zum Beispiel die Konferenz Experimental search for quantum gravity auf der Webseite eines Instituts für Theoretische Physik gehostet wird. Die Quantengravitation, bis heute 15 Zehnerpotenzen von der Realität einer Messung entfernt, hat es selbst im Netz nicht leicht. Aber man soll in der Wissenschaft niemals nie sagen: Auch für Flugzeuge und transatlantische Funkverbindungen gab es schließlich schon Beweise der Unmöglichkeit. So ist die Intention der Organisatoren, von den Theorien Fakten der Beobachtung einzufordern, durchaus löblich, und in der Tat kann man gespannt sein auf die Ergebnisse fantastischer Messtechnik der Experimente wie IceCube oder ANTARES.

Etwas nachdenklich stimmt, dass einige die Quantengravitationseffekte vor allem bei den Neutrinos und ihren Oszillationen erhoffen, die milliardenfach schwieriger zu detektieren sind als Photonen, die physikalische Hausmannskost. Das bisher energiereichste Exemplar davon, gemessen vom FERMI-Teleskop beim Gammastrahlen-Ausbruch GRB 090510, hatte jüngst einigen Theorien der Quantengravitation jäh die Kreditwürdigkeit entzogen.

Der unliebsamen Einstufung durch diese harte Messung begegnet nun ein griechischer Theoretiker mit einem willkürlich aus dem Hut gezauberten Parameter eines "stringy space-time-foam" - sozusagen eine Banknote, auf die man nachträglich noch den benötigten Zahlenwert eintragen kann. Das alles könnte noch erheitern, wenn man gleichzeitig über Grundlegendes wie Kleinheit der Gravitationskonstante nachdenken würde, wie das Mach oder Dirac getan haben. Schlimmer ist aber, dass sich niemand an dem methodischen Irrsinn stört, jedweden Widerspruch zu konventioneller Physik (Äquivalenzprinzip, Lorentzinvarianz, Superpositionsprinzip) als positive "Signatur" einer neuen Theorie zu deuten.

Echte Meister der Deduktion sagen daher also lieber nichts vorher; bevor man sich in die Niederungen der Phänomene begebe, schreibt ein deutscher Möchtegern-Einstein, müsse man über die Anomalien der Raumzeit- Symmetrien nachdenken, zum Beispiel warum wir nach dem Urknall leben und nicht vorher. Dazu wird in Stockholm sicher reichlich Zeit sein. Ein echtes Händchen bewiesen die Organisatoren mit der sinnigen, geradezu fürsorglichen Auswahl dieses Konferenzortes: Ein anderer Anlass, als Physiker die schwedische Hauptstadt auszusuchen, wird sich den Theoretikern der Quantengravitation kaum mehr bieten.


Durchknall des Monats Januar 2010:

Softwarelösung für eine Grundfrage der Physik

Beginnen wir diese Serie mit einem relativ harmlosen, aber exemplarischen Durchknall in der numerischen Astrophysik. Nach jüngsten Pressemeldungen scheint man dort etwas Bahnbrechendes herausgefunden zu haben. Das gemeinsam von den Universitäten in Seattle und Zürich produzierte Video sieht zweifellos sehr hübsch aus: Gaswolken im frühen Universum formen sich wie in einer gigantischen Zuckerwattenmaschine zu einem scheibenförmigen Gebilde, bei denen man vielleicht etwas die Spiralarme vermisst, aber pünktlich nach 13 Milliarden Jahren erinnert es tatsächlich an die vertrauten Hubble-Bilder. Diesem Traumergebnis kann niemand mehr gerecht werden als die Zeitschrift Nature, die die wissenschaftliche Sensation auf den Punkt bringt: Das Problem der Galaxienentstehung sei gelöst, die "Katastrophe der kalten Dunklen Materie" endlich durch eine Erklärung beseitigt. Wer könnte da als Astronom nicht aufatmen! Bis dato bezeichnete man zwar die zu geringe Anzahl von Zwerggalaxien eher als Problemchen denn als Katastrophe, aber muss ein wackerer Held die wahre Größe des erlegten Drachens verschweigen?

Die Idee dahinter: Die in den bisherigen Modellen zu konzentriert in den Galaxienzentren vorhandene Dunkle Materie sei durch Supernovaexplosionen herausgeschleudert worden - interessant! Die Überlegung verdient natürlich deswegen großes Lob, weil es die verantwortlichen Supernovaexplosionen tatsächlich gibt, während üblicherweise hypothetische Effekte der Dunklen Materie in die Schuhe geschoben wird, die sich bis heute nicht durch Experimente wehren kann.

Eine kleine Frage bleibt aber: Was weiss man eigentlich über die Rate von Supernovaexplosionen und deren Stärke im frühen Universum? Nicht viel. Und über deren Wechselwirkung mit Dunkler Materie? Noch weniger. Das bedeutet aber wohl, dass anstatt der bisherigen 5-6 Stellschrauben sich nun zwei weitere freie Parameter im Computerprogramm befinden, an denen man so lange herumprobieren kann, bis es gut aussieht. Warum sollte das nicht Wissenschaft sein? Und wofür hat man denn schließlich mehr Rechenzeit? Quantitaive Ergebnisse sind ja heute ohnehin nicht mehr üblich, und eine durchsichtige Beschreibung des Quellcodes findet sich leider auch nirgends, auch nicht in der "suplementary information", die solche Sensationsgeschichten in Nature transparenter machen soll. Stattdessen finden wir im Artikel 0911.2237 eine Übersicht mit den "main numerical parameters". Und wo sind die anderen? Haben die nicht mehr in die Tabelle gepasst?

Beliebt wird dieses Resultat aber schon aus einem anderen Grund werden. Die bisherigen Modelle der Dunklen Materie sagen in den Galaxienzentren Paarvernichtungsstrahlung voraus, die mit den modernsten Gamma-Teleskopen beängstigend überprüfbar wird. Findet man nichts, wie es sich schon abzuzeichnen scheint, hätte die Dunkle Materie wieder eine Atempause bis zur nächsten Teleskopgeneration. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Allenthalben werden die Bilder schärfer und die Computerprogramme verschwommener, so wäre bis hierher das Ganze nur mäßig ärgerlich, eben der übliche Erosionsprozess, den Wissenschaft mit immer neuen Parameterchen durchmacht. Die Ausscheidungen der neuesten Hardware aber als Lösung des Rätsels der Dunklen Materie zu präsentieren - das Standardmodell sein damit "endgültig" bestätigt - , zeugt aber mehr von guter Eigenwahrnehmung als von Kompetenz der Forschergruppe. Von den etlichen anderen, midestens ebenso schwerwiegenden Problemen der Dunklen Materie (wie z.B. aktuell 0911.2700 ) und der Strukturbildung im Universum hat man dort offensichtlich keine Ahnung. Andere Baustelle.




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