Eine Theorie, die das ganze Universum erklärt, steht noch aus. Der
Physiker Alexander Unzicker hält die Jagd nach der Weltformel allerdings
für absurd und empfiehlt: Bescheidenheit.
Eine Theorie, die das ganze Universum erklärt, steht noch aus. Der
Physiker Alexander Unzicker hält die Jagd nach der Weltformel allerdings
für absurd und empfiehlt: Bescheidenheit.
P.M.: Herr Dr. Unzicker, die Experten der modernen Physik werden von
Ihnen ja ganz schön attackiert. Sie bezeichnen Hochenergie-Physiker als
»Teilchenbuchhalter«, vergleichen das Forschungsgebiet der Stringtheorie
mit einer Sekte und halten die Inflationstheorie für »Geschwätz«. Sind
Sie ein Nestbeschmutzer?
Unzicker: Neu ist vielleicht meine Direktheit in der
Formulierung, aber nicht der Inhalt dieser Kritik, die einige so sehen
wie ich. Aber mir geht es eigentlich um wichtige Fragen der Physik. Die
geraten bei den modernen Absurditäten in Vergessenheit.
Einsteins berühmte Relativitätstheorie kommt mit einer sehr einfachen Formel aus: E = mc2. Wenn man heutige physikalische Theorien sieht, dann hat man den Eindruck: Sie werden immer komplizierter. Woran liegt das?
Die Physiker bekommen die Fülle der Beobachtungen nicht mehr auf die
Reihe. Durch jeden neuen Effekt wird so auch das theoretische Modell
komplizierter. Isaac Newton hat gesagt: »Wahrheit kann man, wenn
überhaupt, nur in der Einfachheit finden.« Die heutigen Theorien geben
da leider ein trauriges Bild ab.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie das von führenden Astronomen favorisierte Modell des
Universums. Es geht davon aus, dass wir in einem Weltall leben, dessen
Ausdehnung sich beschleunigt. Um das zu beschreiben, braucht man eine
neue Zahl, die man bei Bedarf verändern kann, also eine Variable. Aber
das Modell hat nun nicht mehr zwei Variablen wie früher, sondern sechs.
Warum gerade sechs?
Das ist es ja gerade: Kein Mensch weiß das. Man denkt nicht mehr darüber
nach, sondern wird bald eine siebte und achte Zahl einführen, die
ebenso beliebig sind. Und das wird dann auch noch als große Entdeckung
gefeiert.
Womöglich lässt sich eine komplizierte Welt nicht mit einfachen Theorien erklären?
Das kann sein. Aber wir haben heute zu viele Forscher, die für alles,
was sie nicht verstehen, leichtfertig neue Teilchen und Felder erfinden.
Zu Einsteins Zeit galt dies als ein Eingeständnis des Versagens. Heute
gibt es dafür Wissenschaftspreise.
Ihr kürzlich erschienenes Buch,
in dem Sie die heutige Physik kritisieren, heißt »Vom Urknall zum
Durchknall«. Was ist denn Ihrer Meinung nach so durchgeknallt?
Nehmen wir nur mal die Inflations-Theorie, nach der sich das Universum
unmittelbar nach dem Urknall auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen
Größe ausgedehnt hat. Selten hat eine banale Idee so viel Publicity
erlangt. Es gibt einfach keine seriöse Datenbasis. Nicht nur der hoch
angesehene Physiker Roger Penrose hält diese Theorie für kompletten
Quatsch.
Soll das heißen, es gab keinen Urknall?
Es gibt Fundamentalkritiker, die seine Existenz bezweifeln, aber zu
denen gehöre ich nicht. Trotzdem sind ihre Argumente manchmal
interessant.
Die Annahme, es habe einen Urknall gegeben, ergibt sich ja aus der
Beobachtung, dass sich das Universum ausdehnt. Kann man daraus
schließen, es sei einst in einem Punkt zusammengeballt gewesen?
Wir wissen doch nur, dass das Universum einst kleiner, dichter und
homogener war. Alles andere ist Spekulation, vor allem der punktförmige
Urknall.
Man sieht heute also eine auseinanderstiebende Herde von Pferden, die
einst in einem Gatter eingepfercht waren – und schließt daraus, die
Tiere wären ursprünglich ein kompakter Fleischkloß gewesen?
Richtig. Man glaubt an diesen Kloß und analysiert ihn. Aber wir wissen
nicht, was war, bevor sich das Gatter – das Licht des
Mikrowellenhintergrundes – geöffnet hat.
Wir wissen immer mehr vom Universum, aber anscheinend nehmen auch die Widersprüche
zu. Stimmt dieser Eindruck?
Das Wissen nimmt mit der letzten Teleskop-Generation sogar sprunghaft
zu, das ist fantastisch! Aber wenn man genau hinsieht, dann sieht man
nun vieles, was nicht passt.
Zum Beispiel?
Man hat an den Rändern der Galaxien eine Drehgeschwindigkeit beobachtet,
die höher als erwartet ist. Um die Widersprüche zu erklären, stellt man
sich Dunkle Materie vor, was aber eine Scheinlösung ist. Nun kommt auch
noch die Dunkle Energie dazu, die man erst recht nicht versteht. Je
mehr man auf diese Weise flickt, desto mehr neue Lücken tun sich auf.
Sie schreiben sinngemäß: Einsteins Theorien sind klar und einfach,
die modernen Theorien dagegen kompliziert und windig. Aber die heutigen Physiker sind doch keine Dummköpfe?
Auch die Astronomen des Mittelalters waren keine Dummköpfe. Aber sie
trugen Scheuklappen und weigerten sich, ein Modell über Bord zu werfen,
das seit vielen Generationen etabliert war. Heute ist es wieder so, es
wird viel nachgeplappert in der Physik. Gruppendynamik pur: Niemand will
zum Außenseiter werden.
Die zwei wichtigsten Theorien der Physik, Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, sind doch beide gut
bestätigt. Wo liegt das Problem?
Einsteins Theorie beschreibt die Schwerkraft und das Universum im
Großen, während die Quantenmechanik die Welt im Kleinen beschreibt. Aber
die Mathematik dazu ist wie Feuer und Wasser. Es können nicht beide
Theorien richtig sein.
Die Anhänger der Superstring-Theorie sagen, dass sie diesen
Widerspruch auflösen können. Sie glauben, dass alle Teilchen aus
vibrierenden eindimensionalen Objekten bestehen, den sogenannten
Strings. Wäre das nicht die Lösung?
Richard Feynman, einer der brillantesten Physiker, hat über die Superstring-Theorie gesagt: »Ich bin überzeugt davon, dass dies
alles Unsinn ist.« Er hat vollkommen recht behalten, denn den großen
Worten der Theoretiker sind leider dreißig Jahre lang keine Taten
gefolgt.
Aber nun gibt es ja Taten. Vor Kurzem ist es am Genfer
Forschungszentrum CERN gelungen, im Teilchenbeschleuniger LHC (Large
Hadron Collider) Atomkerne mit bisher unerreichbarer Geschwindigkeit
aufeinanderprallen zu lassen. Lassen Sie das nicht gelten?
Ja – und? Die Superstring-Theorie hat keine einzige Vorhersage gemacht,
was man da finden wird. Auch am CERN gibt es einige Leute, die diese
Theorie für Mist halten – aber keiner von ihnen macht den Mund auf.
Warum nicht?
Es würde die Öffentlichkeit zu sehr irritieren. Die »Weltmaschine« LHC,
wie CERN sie nennt, hat schließlich mehr als drei Milliarden Euro
gekostet.
Ist das Ihrer Ansicht nach rausgeworfenes Geld?
Nein. Man darf Grundlagenforschung nicht aus der Perspektive eines
Finanzministers sehen. Konkrete Experimente sind immer besser als
abstruse Theorien. Aber die Experimentatoren am CERN müssen einem fast
leidtun: Sie machen gute Arbeit, wissen aber nicht, wonach sie suchen
sollen, weil die Theoretiker sich wie Autisten aus der
Experimentalphysik ausgeklinkt haben.
Hofft man nicht, dass im LHC das letzte fehlende Teilchen des
Standardmodells der Physik entdeckt wird, das Higgs-Boson, auch
»Gottesteilchen« genannt?
Es würde nichts Fundamentales erklären. Ich biete im Internet eine Wette an, dass es gar nicht gefunden wird.
Kann der LHC denn für die Kosmologie nützlich sein, indem er den
Urknall simuliert? Oder uns sogar Hinweise geben, was vor dem Urknall
war?
Es gibt ein paar Möchtegern-Einsteins, die darüber Theorien machen. Aber
auch über die ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall erfährt man
vom LHC gar nichts.
Aber wird dieses größte Experiment der Menschheit, wie CERN es nennt,
nicht zu konkreten Ergebnissen führen? Manche hoffen ja sogar auf die
Weltformel, die alle widersprüchlichen Theorien ersetzen könnte.
Man wird vermutlich etwas finden, was neue Fragen aufwirft. Und dann
wird es heißen, die können wir nur mit einem noch größeren
Teilchenbeschleuniger beantworten. Bis der dann gebaut ist, sind wieder
ein paar Kritiker ausgestorben.
Sie zitieren in Ihrem Buch König Alfons von Kastilien, der um 1250
meinte: »Hätte mich der Herrgott bei der Schöpfung um Rat gefragt, hätte
ich etwas Einfacheres empfohlen.« Er wurde nicht beachtet. Glauben Sie
denn, dass man Sie ernst nimmt?
Nicht wirklich. Aber ich höre von vielen Wissenschaftlern, wenn auch
manchmal hinter vorgehaltener Hand: Das musste endlich mal gesagt
werden.
Es ist leichter zu kritisieren, als selbst eine Alternative anzubieten. Haben Sie eine?
Nein. Aber ich würde gern mit dem Philosophen Karl Popper antworten:
»Wir wissen nichts, das ist das Erste. Deshalb sollten wir sehr
bescheiden sein, das ist das Zweite. Dass wir nicht behaupten zu wissen,
wenn wir nicht wissen, das ist das Dritte.«